Smartphone Junkies

Gepostet von am Dez 18, 2013 in Blog

Smartphone Junkies

Ein Journalist der Welt am Sonntag (Nr. 49/2013) – selbst vermutlich fit im Handygebrauch – fragt provokant: „Sind wir Sklaven unserer Smartphones?“ Die Befreiung aus der Knechtschaft liefert er gleich mit, denn „in einer brasilianischen Bar haben sie das Problem antisozialen Medienverhaltens im halböffentlichen Raum durch originelles Design gelöst: Sogenannte Offline-Biergläser kommen mit einer Aussparung am Fuß, so dass sie nur aufrecht stehen, wenn man sein Smartphone zur Unterstützung darunter legt.“ Die Barbesucher haben erkannt: Retina-Displays sind nicht die Welt, die sie vorgeben. Aber man kann darauf stehen.

Wer noch leugnet, schon mal in die Fänge von iPhone und Konkurrenten geraten zu sein (Ja – ich habe selbst auch Erfahrung), dem sei der YouTube-Film „I Forgot My Phone“ empfohlen – zig Millionen haben schon geklickt, sicher nicht nur aus Neugiermotiven (http://www.youtube.com/watch?v=OINa46HeWg8). Sind wir nicht schon längst Teil der schönen neuen, hyperkommunikativen und doch unpersönlichen Welt? Auch wenn Sie vielleicht einer der letzten aussterbenden Handylosen sind, dann stehen sie zwar außen vor wie die einsame Dame im YouTube-Film. Aber sind doch früher oder später Teil der Online-Gemeinschaft, ob in YouTube, Amazon oder Ihrem Stadtportal.

Nein, ich möchte unsere Web- und Phonegemeinschaft nicht schlecht reden. Sie schafft neue (soziale) Möglichkeiten, direkter und effizienter als je zuvor. Aber kommt unsere Spezies mit der rasanten Entwicklung wirklich mit? War das nicht irgendwie ruhiger damals, als der Begriff „Anrufbeantworter“ mit der leibhaftigen Telefonauskunft verwechselt wurde? Als ich kürzlich in der morgendlichen Hektik des „Nicht die S-Bahn verpassen dürfens“ mit einem Anflug an Panik dieses „saublöde“ (ja das Wort rief ich aus) Mobilteil in allen unmöglichen Ecken gesucht habe: Da habe ich es verflucht und meine Abhängigkeit vom Wunderwerk der Technik und mich selbst als Opfer der Handyrevolution erkannt.

Jugendliche mögen jetzt lachen, sie kennen es ja nicht anders und wachsen anscheinend spielend mit den Kniffen der modernen Welt auf. Da gibt es auf der anderen Seite strenge Kritiker, die den Untergang der Kultur prophezeien. Auch dem Buchdruck wurde Ähnliches nachgesagt und die Menschheit lebt immer noch. Aber jenen „Ich brauche das neueste Handy“-Gierern sei folgendes Erlebnis mitgeteilt: In der besagten S-Bahn saß ich einer Kids-Gang gegenüber, die gespannt auf das Tablet eines etwa 12-Jährigen geglotzt haben – weniger wegen des bunten Gezappels auf dem Bildschirm, sondern daher, dass das Gerät trotz des mechanischen Zerstörungsgrades seines Displays immer noch funktionierte. Der Gamer meinte dazu: „Ich musste Rache nehmen. Zu Weihnachten krieg´ ich eh ein Neues.“

Ein verantwortungsvoller und achtsamer Umgang ist nötig. Technik nutzen mittels richtig eingestelltem „Datenhygienefilter“, ohne sich benutzen lassen. Die fließenden Grenzen zur Online-Sucht im Blick gilt (therapeutisch betrachtet): Wehret der Abhängigkeit, indem Ihr Handy und Computer zwischendurch bewusst deaktiviert. Indem Regeln eines anständigen Miteinander eingehalten werden (z.B. nicht daddeln oder Mails checken, wenn wir uns gegenübersitzen). Wirklich wichtig machen uns ständig eintrudelnde Messages nicht und noch weniger selbst produzierter Informations-Overload. Das Motto gegen die moderne Rushhour lautet: Relaxen und reduzieren. Sich dabei einstellende Entzugserscheinungen können wie jedes Gefühl ausgehalten werden, denn es sind nur Gefühle, die sich wieder beruhigen – durch das Erleben, dass es auch mal ohne Bits und Bites und Klingeltöne geht. Einschalten kann ich ja später immer noch.

PS: Das Leben kommt vorn. Warum also hinterherlaufen?

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